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"Es gab ein tolles Grundvertrauen" - Gespräch mit Editorin Ana de Mier y Ortuño, nominiert für den Deutschen Filmpreis 2019

Das Gespräch führte Dietmar Kraus; es fand am 13. April 2019 in Berlin statt.
Transkription: Joana Weber. Siehe auch: Filmografie von Ana de Mier y Ortuño

Liebe Ana, gratuliere! Du erlebst gerade eine richtig erfolgreiche Zeit: Gleich drei Spielfilme an denen Du mitgewirkt hast, waren 2019 für den Deutschen Filmpreis vornominiert. Zwei haben es in die Endrunde geschafft – und von denen ist Das schönste Mädchen der Welt nicht nur als »Bester Spielfilm« nominiert, sondern Du persönlich auch für den »Besten Schnitt«. Wie fühlt sich das alles gerade an?

Sehr verrückt, sehr surreal! Das ist der erste Preis, für den ich überhaupt nominiert bin, und dann gleich der Deutsche Filmpreis... Ich bin wahnsinnig aufgeregt und freue mich natürlich riesig!

Zu Deinen Filmen kommen wir noch, aber erst mal möchte ich ganz vorne anfangen: Geboren bist Du 1981 in Granada, Spanien. Was hat Dich nach München geführt?

Wir sind nach München gezogen, als ich 5 Jahre alt war.Meine Mutter ist Spanierin und mein Vater ist halb Kolumbianer, halb Deutscher. Er ist in Kolumbien geboren, aber genau wie ich mit 5 Jahren nach München gekommen, weil seine Mutter Münchnerin ist. Meine Eltern haben sich sehr jung in Spanien kennengelernt. Mein Vater zog zunächst dort hin, doch später wollten sie nach München zurück, damit er sein Studium beenden konnte. Da sind wir dann geblieben.

Du hast in München Dein Abitur gemacht und studiert.

Ja, aber über Umwege. Ich habe mit 15 Jahren angefangen, sehr intensiv zu tanzen: Jazz, Hip-Hop und Breakdance. Dadurch habe ich die Schule total vernachlässigt. Erst über eine Ausbildung als Fremdsprachenkorrespondentin für Englisch und Spanisch, mit anschließender Berufsoberschule, konnte ich das Abitur nachholen. Das war mir dann doch sehr wichtig. Ich wusste eigentlich gar nicht, was ich machen möchte. Aber ich wollte mir zumindest alle Wege offen halten.

War denn das Tanzen auch mal ein potentieller Berufswunsch?

Ja, war es tatsächlich. Ich liebe es, ich tanze nach wie vor gerne, ich habe auch lange Tanzunterricht gegeben. Aber irgendwann habe ich beschlossen, dass ich damit nicht mein Geld verdienen möchte. Weil es einfach ein wahnsinnig hartes Business ist und ich meiner Meinung nach auch nicht gut genug bin.

Stattdessen hast Du Architektur studiert. Was war der Impuls dafür?

Mein Großvater väterlicherseits war Architekt. Er hat mich öfter mal ins Büro und auf die Baustellen mitgenommen. Als wir noch in Granada wohnten, konnte ich von meinem Schlafzimmer aus direkt auf die Alhambra schauen, auf die berühmte maurische Burg. Sie ist der Tourismusmagnet Andalusiens. Als Kind bin ich dort immer rumgerannt und fand es irre!

Daher kommt mein Faible für Gebäude und Architektur. Ich habe allerdings nur mein Vordiplom gemacht, dann ging es nicht mehr weiter. Man romantisiert ja auch solche Berufe und dann folgt die Ernüchterung. Anstatt herausragende Bauwerke zu erschaffen, entwirft man Einfamilienhäuser.

 

Wie kam dann der Wechsel in die Filmbranche?

Ich stamme aus einer filmbegeisterten Familie: Meine Mutter geht etwa zweimal die Woche ins Kino; mein Vater ist ebenfalls ein Filmfan – aber beide arbeiten nicht in der Branche. Ich fand Film auch immer spannend, aber bin nie auf die Idee gekommen, irgendetwas damit zu machen. Das war wie eine ganz andere Welt; unfassbar weit weg.

Dann habe ich einen Freund von mir getroffen, Daniel Nispel, der als Schnittassistent für Alexander Berner arbeitete. Sie waren gerade fertig mit Das Parfum (Regie: Tom Tykwer). Er schlug mir vor, einfach in den Semesterferien zu Alex zu kommen, weil sie noch eine Praktikantin brauchten.

Im August 2007 bin ich dort gelandet und es ging direkt los mit dem ersten Drehtag von Der Baader Meinhof Komplex (Regie: Uli Edel). Ich hatte nicht die geringste Ahnung, also wirklich null! Daniel hat mir alles beigebracht, das Anlegen, wie ein Avid-Projekt funktioniert, usw. Ich habe mir die ganzen Tastatur-Kürzel in einem Zettelblock aufgemalt, ohne sie zu verstehen. Damals wurde noch mit Digi-Betas gearbeitet, also musste ich auch lernen, mit den MAZen umzugehen; dass war der Horror für mich.

Nach drei Monaten hat Daniel das Projekt verlassen. Alex hat mir gesagt: »Entweder du übernimmst die Schnittassistenz oder wir suchen uns jemand anderen. Aber eigentlich will ich, dass du das machst.« Ich hab geantwortet: »Alex, ich bin drei Monate hier, weiß gerade mal wie ich den Avid anschalte, Digi-Betas einspiele und anlege!« Doch er meinte: »Das schaffst du schon.«

Von da an habe ich praktisch ein Jahr lang im Schneideraum gelebt. Bestimmt durchschnittlich 16 Stunden am Tag. Danach hatte ich alles verstanden. Mir machte der Job als Schnittassistentin auch sehr viel Spaß, obwohl er wahnsinnig zeitintensiv und nervenaufreibend war. Nach Der Baader Meinhof Komplex war mir klar, dass ich es total spannend finde, was bei der Montage passiert; dass das ein Beruf für mich sein konnte.

Du hast ja bei weiteren renommierten Filmeditor*innen assistiert, z.B. Claus Wehlisch, Patricia Rommel, Charles Ladmiral. Also eigentlich der klassische Ausbildungsweg über die Praxis, der heutzutage leider seltener geworden ist, weil Editor*innen und Assistent*innen oft räumlich und zeitlich getrennt arbeiten. Wie war das bei Dir: Hat man Dich an wichtigen Momenten teilhaben lassen?

Ja, ich war überall dabei. Direkt nach Alex kam der Job mit Patricia, für den Dokumentarfilm Jane’s Journey – Die Lebensreise der Jane Goodall (Regie: Lorenz Knauer). Wir mochten uns auf Anhieb und ich saß ein Dreivierteljahr mit ihr direkt im Schneideraum. Wir hatten nur einen Raum, also habe ich mit Kopfhörern gearbeitet. Es war sehr faszinierend, ihr über die Schulter schauen zu dürfen. Sie hat mich auch immer wieder kleinere Sachen ausmustern und schneiden lassen, weil es unfassbar viel Material gab. Ich weiß noch, dass ich an einer Sequenz gearbeitet habe, die im fertigen Film vielleicht 20 Sekunden lang ist. Das waren Zugvögel, die über einen See fliegen. Davon hatte ich 12 Stunden Material, die ich auf etwa 30 Minuten gekürzt habe. Ich habe bestimmt eine Woche lang nur Vögel angeschaut!

Mein nächstes Projekt war noch mal mit Alexander Berner, allerdings in anderer Funktion: Ich war »Assistant Stereographer« im 3D-Lab, bei Die drei Musketiere (Regie: Paul W. S. Anderson).

Was macht denn ein »Assistant Stereographer«?

Das wusste ich damals auch nicht! Der Film wurde komplett in 3D gedreht; du hast also immer zwei Kameras, die nebeneinander montiert sind und durch ihre leichte Verschiebung ein 3D-Bild erzeugen. Alle 3D-Abläufe wurden von der amerikanischen Firma Cameron/Pace betreut. Deren Mitarbeiter Dave machte die Korrekturen und ich habe ihm assistiert; wir waren das sogenannte 3D-Lab.

Man lädt das Material ein, legt die beiden Bilder übereinander und schaut, an welchen Stellen es eine vertikale Verschiebung gibt. Die muss man dann korrigieren, indem man eine Ebene verschiebt, oder auch nur Teilbereiche verzieht, vor allem an den Kanten. Horizontale Verschiebungen sind bis zu einem gewissen Grad erwünscht, um den 3D-Effekt zu erzeugen, aber auch sie können aus dem Ruder laufen. Das ist sehr kleinteilige Arbeit, aber ohne sie wird dem Zuschauer schnell schwindlig. Mir ist durch diesen Job erst bewusst geworden, was für fiese Probleme es bei 3D gibt. Wenn du im Kino bei einem 3D-Film bewusst in die Ecken schaust, kannst du richtig Kopfschmerzen bekommen, falls die Ebenen nicht ausreichend angeglichen wurden.

Das habe ich also bei Die drei Musketiere gelernt. Weil die Cameron/Pace Firma mit meiner Arbeit zufrieden war, riefen sie mich gleich im Anschluss an; sie bräuchten jemanden fürs 3D-Lab in London. Das war für den Film 47 Ronin (Regie: Carl Rinsch).

Ich erkenne hier allmählich ein Muster: Du landest völlig unerfahren in einem neuen Bereich, eignest Dir in Windeseile Fähigkeiten an, und bist schon nach dem ersten Projekt so gefragt, dass die Produktion lieber Dich aus München einfliegt, anstatt sich einen »Assistant Stereographer« in London zu suchen!

Ich denke, ich bin einfach sehr »nerdy« und sehr ehrgeizig, so dass ich mich in die Projekte regelrecht hineinfresse. Ich entwickle dann eine gewisse Besessenheit. Es muss mir aber auch Spaß machen. Wenn mir etwas keinen Spaß macht, lasse ich es sofort fallen. Aber in dem Moment, wo ich etwas spannend finde, wühle ich mich da so lange rein, bis ich genau weiß, wie es funktioniert.

Du hast ja noch weitere ungewöhnliche Rollen in Deiner Vita: Bei Fack ju Göhte warst Du nicht nur Schnittassistentin, sondern auch »Viral Editor«.

Ich kannte Charles Ladmiral schon, den Filmeditor von Fack ju Göhte, weil er auch ein ehemaliger Schnittassistent von Alexander Berner ist. Charlie hat mich gefragt, ob ich bei Fack ju Göhte Assistenz inkl. Schnitt machen möchte. Also, dass ich nach Erledigung meiner Assistenztätigkeiten als Co-Editorin eigene Szenen schneiden darf. Da habe ich natürlich sofort zugesagt. Dann kamen aber solche Materialfluten, durchschnittlich 4,5 Stunden am Tag, weil ständig zwei oder drei Kameras liefen. Es wurde ein irrsinnig stressiges Projekt und ich bin überhaupt nicht zum Schneiden gekommen.

Das mit dem »Viral Editor« kam so: Der Regisseur Bora Dagtekin ist ein Marketing-Aficionado, also hat er nebenbei noch zahlreiche Clips drehen lassen, für YouTube, Facebook, usw. Er hat sich dafür neue Sachen ausgedacht, die im Film nicht vorkommen. Eine Idee war, dass Chantal (gespielt von Jella Haase) Werke wie »Die Physiker« oder »Faust« vorstellt. Sie sitzt eigentlich nur am Tisch, hebt das Reclam-Heftchen hoch und quatscht drauf los, was sehr komisch ist. Diese »Virals« durfte ich schneiden; ich hatte drei Kameraeinstellungen zur Verfügung, und es hat richtig Spaß gemacht. Es gibt sie auch noch im Netz zu sehen.

 

Fack ju Göhte wurde 2013 gedreht. Zu dem Zeitpunkt wolltest Du also den Assistenz-Bereich verlassen und Editorin werden. Wie ist Dir das gelungen?

Ich habe z.B. viele Hochschulfilme geschnitten; alles was ich in die Finger kriegen konnte. Ich hatte das Glück, dass damals einer meiner besten Freunde, Ferdinand Arthuber, an der HFF München studiert hat und ich dadurch seinen ganzen Jahrgang kennengelernt habe. Die waren natürlich froh, dass jemand jede noch so kleine Übung von ihnen schneidet. Und für mich war das ja auch Übung.

Dein erster Langfilm als Editorin war dann Abschussfahrt (Regie: Tim Trachte, 2015) wobei da noch zwei weitere Kollegen dran beteiligt waren.

Davor hatte ich bei mehreren Projekten hintereinander als Assistentin für die Produktionsfirma Rat Pack gearbeitet. Bei V8 – Die Rache der Nitros (Regie: Joachim Masannek, Editor: Claus Wehlisch) durfte ich sogar den Vorschnitt machen. Rat Pack mochte auch die kleinen Bergfest- und Abschluss-Filme, die ich für ihre Produktionen geschnitten habe.

Sie riefen mich an und erzählten mir von dem Film eines jungen Regisseurs, der bereits abgedreht hatte, und nun einen Ersatz für seinen bisherigen Editor suchte – ob ich das nicht probieren möchte? Dann schickten sie mir eine Festplatte mit Material und drei Szenen. Die sollte ich umschneiden.

Als Test? Als eine Art Schnitt-Casting?

Ja, genau. Die sagten mir: »Schneide das mal so, wie Du denkst«. Meine Arbeit hat sie anscheinend überzeugt. So habe ich Tim Trachte kennengelernt.

Im Nachhinein finde ich es allerdings ziemlich blöd, dass ich meinen Vorgänger Jochen Retter nie getroffen oder gesprochen habe, sondern einfach in diesen Schneideraum gesetzt wurde, und fertig. Der dritte Editor war dann Milos Savic; der hat sich vor allem um die vielen effektlastigen Montagen gekümmert.

Gleich darauf bekamst Du es bei Bruder vor Luder sogar mit drei Regisseuren zu tun.

Richtig, meine Filmografie ist ziemlich lustig! Im Mittelpunkt von Bruder vor Luder stehen ja die Zwillingsbrüder Heiko und Roman Lochmann, die über ihren YouTube-Kanal »Die Lochis« bekannt geworden sind. Man stellte ihnen mit Tomas Erhart einen sehr erfahren Kameramann zur Seite, auch als Co-Regisseur.

Es kam aber nur Tomas zu mir in den Schneideraum und wir haben relativ schnell einen »Director‘s Cut« gemacht, bevor ich zu meinem nächsten Film musste: Die Vampirschwestern 3 von Tim Trachte. Das war aber von Anfang an klar. Den Film fertig geschnitten hat dann Robert Stuprich.

Was möchtest Du zu Die Vampirschwestern 3 erzählen?

Das war eine sehr schöne Arbeit, sowohl mit der Produktion als auch mit Tim. Und es war das erste Mal, dass ich von Anfang bis Ende dabei war. Es ist ein Kinderfilm, sehr mystisch und spannend. Es gab viel VFX. Tim und ich hatten da großen Spaß.

Ist der VFX-Bereich wieder so etwas, wo Du dich hinein wühlst? Oder überlässt Du das eher anderen Leuten?

Nein, das mache ich gerne selbst, weil ich das als Assistentin auch gelernt habe. Das ist für mich als Editorin praktisch, weil ich manche Sachen schon mal vorbauen kann. Aber damals hatte ich auch schon meinen Assistenten Rene Bernbeck, und der ist extrem fit was VFX abgeht. Er hat bei Vampirschwestern bereits für den Rohschnitt ganz viel gebaut, was bei den Produzenten natürlich gut ankam, weil sie schon im Schneideraum ahnen konnten, wie das Endergebnis wirken wird.

Nun kommen wir zu dem Film, mit dem Du aktuell für den Deutschen Filmpreis nominiert bist: Das schönste Mädchen der Welt. Du hattest davor noch nie etwas mit Regisseur Aron Lehmann gemacht; wie seid ihr zusammen gekommen?

Aron rief mich an, als ich mit meinem Hund spazieren war und ich weiß auch noch genau die Stelle: Ich stand an der Isar auf dem langen Holzsteg, der zur Muffathalle führt und plötzlich rief mich eine unbekannte Nummer an. Aron sagte einfach: »Hör zu, ich hab deinen Namen jetzt fünf mal gehört. Ich hab einen neuen Film – willst du den machen?«

 

Als ich dann das Drehbuch gelesen hatte, war ich wahnsinnig angefixt und wollte das unbedingt machen. Aber ich musste eine Weile warten, weil mehrere Editor*innen angefragt waren – also wieder ein Casting! Aron wollte alle kennenlernen und genau die richtige Person für diesen Film finden. Er hat dann gemerkt, dass das Thema total meins ist und wir haben uns auch sehr gut verstanden. Wir sind der gleiche Jahrgang, der Filmgeschmack ist identisch, es gab viele lustige Übereinstimmungen.

Inzwischen standen auch die Hauptdarsteller fest und Aron hat gleich gesagt: »Das ist der Cast; der ist super.« Aber ich war zu Beginn etwas irritiert, denn die Figur der Roxy hatte ich mir beim Lesen des Drehbuchs dunkelhaarig vorgestellt. Ich dachte sie wäre vielleicht türkisch oder arabisch oder italienisch – auf jeden Fall südländisch.

Der Stoff ist ja eine Modernisierung des Versdramas Cyrano de Bergerac, von dem es schon einige Verfilmungen im historischen Stil gibt; die bekannteste ist wohl 1990 von Jean-Paul Rappeneau. Dort war Roxane auch nicht dunkelhaarig...

Richtig, aber für dieses Hip-Hop-Thema konnte ich sie mir einfach nicht blond vorstellen. Er zeigte mir das Casting-Video von Luna Wedler und ich habe gesagt: »Aron, bitte nicht; hast du jetzt wirklich ein blondes Mädchen gecastet?« Er hat sich totgelacht und meinte: »Jetzt schau sie dir erst mal an!« Luna hat alle so gegen die Wand gespielt, dass auch mir schnell klar war, sie ist die perfekte Roxy.

Für die »Rap-Battles« und Songs im Film waren Djorkaeff und Robin Haefs verantwortlich, zwei Musikproduzenten die schon für große Hip-Hopper gearbeitet haben. Unsere zwei Hauptsongs stammen von ihnen. Ich fand sie super; mit ihnen haben wir ständig Hand-in-Hand gearbeitet.

Die restliche Musikauswahl hat Aron erst mal mir anvertraut, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Natürlich waren wir bei manchen Stücken auch unterschiedlicher Meinung; dann habe ich mal nachgegeben und er mal nachgegeben. Aron wusste, dass der Musikbereich mir sehr liegt, weil ich auch schon ganz lange auflege. Und es hat mich immer geärgert, dass Teenie-Filme häufig so eine schlimme Musik haben. So ein Retorten-Pop, den man sich eigentlich gar nicht anhören kann. Das wollten wir besser machen und das ist uns gut gelungen, glaube ich.

Es gibt ja ziemlich unterschiedliche Musikpassagen; einerseits die Rap-Szenen, aber z.B. auch eine Stelle, wo du plötzlich zu einer Musikclip-Montage wechselst und alle möglichen Stilmittel anwendest. Diese Passage fängt mit einer Busfahrt durch Berlin an und mündet in einem Tanz durch die Gemäldegalerie...

Die Busfahrt war viel länger gedacht und hätte eigentlich eine szenische Montage sein sollen, bis zu dem Punkt, an dem sie im Museum ankommen. Aber bei dem Drehtag auf dem Bus hat einiges nicht geklappt: Die Anschlüsse stimmten nicht, es fehlte Material, die Schauspieler*innen hatten ein paar Durchhänger. Dann hieß es: »Kannst du damit irgendetwas anfangen oder müssen wir nachdrehen?« Also habe ich gesagt, »okay, dann probiere ich mal eine extreme Beschleunigung und Kürzung aus«. Und habe der Szene diesen sehr schnellen, clip-artigen Impuls verpasst, bis man im Museum landet, wo es ja richtige Tanzabläufe durch die Räume gibt. Die waren dann auch vom Material her wieder super.

Wie war denn die Zusammenarbeit mit Aron nach dem Ende der Dreharbeiten?

Man merkt sofort, dass Aron ein toller Regisseur ist, der sein Handwerk gelernt hat und genau weiß, was er macht. Er kommt in den Schneideraum, schaut sich Sachen an, spricht die einmal kurz mit dir durch und geht wieder – was ich sehr angenehm finde! Es gab ein tolles Grundvertrauen. Ich habe ihm anfangs während des Drehs viel zum Angucken geschickt, denn wir kannten uns ja noch nicht. Er hat dann bald gesehen, dass es passt. Und dann hat er mir freie Hand gelassen. In der heißen Phase zum Ende des Schnittprozesses ist er aber natürlich die meiste Zeit im Schneideraum dabei.

Ihr hattet ja viele junge Schauspieler*innen, von denen manche schon erfahren waren und andere wahrscheinlich kaum. Gab es große Schwankungen im Material?

Wir hatten das Glück, dass Luna Wedler (Roxy) und Aaron Hilmer (Cyril) ein gleiches Level haben. Also, ich bin ein riesiger Luna-Fan; ich finde, dass sie in diesem Film überragend ist, aber ich mag auch Aaron wahnsinnig gerne. Die zwei haben auf Augenhöhe gespielt und das war immer großartig. Natürlich gab es andere, nicht so geübte Schauspieler*innen – da spielen ja z.B. auch YouTuber mit – bei denen du schon vorher weißt, dass du etwas mehr suchen wirst und auch mal um jemanden herum schneiden musst. Aber auch die waren oft toll.

Wir haben außerdem einen ganzen Erzählstrang rausgeschnitten. Cem (gespielt von Hussein Eliraqui) findet in der Raststätte unterwegs nach Berlin einen wuchtigen Goldring und nimmt ihn mit. Deshalb wird er von zwei Türsteher-Typen verfolgt und das Ganze geht in Berlin noch weiter... Aber wir fanden dann, dass dies zu sehr von der Hauptgeschichte ablenkt. Es sind etwa 20 Minuten rausgeflogen und die Übergänge haben trotzdem funktioniert. Klar gab es zwei, drei Stellen, an denen man tricksen musste, aber es war glücklicherweise eine Nebenhandlung, die nicht zu sehr mit essentiellen Szenen verwoben war.

Bist Du eigentlich ziemlich direkt zur Regie, wenn eine Szene für Dich nicht funktioniert, oder tastest Du Dich erst mal diplomatisch heran?

Ich bin allgemein ein direkter, und auch sehr impulsiver Mensch. Ich habe Aron in den ersten zwei Schnitt-Wochen bestimmt fünfmal abends eine SMS geschickt, in der ich mich entschuldigt habe, dass ich tagsüber so aufbrausend war! So was wie: »Aron, es tut mir leid, wenn ich heute zu harsch war; ich hoffe du nimmst es nicht zu ernst.« Er fand das natürlich sehr lustig. Nach zwei Wochen war dann ohnehin alles klar und er hat verstanden, wie ich ticke und wie ich Sachen meine.

Also, ich bin sehr direkt ab dem Moment, wo ich mich mit jemandem sicher fühle. Und das ist für mich das Wichtigste im Schneideraum. Wenn ich als Editorin mit der Regie nicht klar käme, wäre für mich der Punkt erreicht, an dem ich sagen würde: »Vielleicht ist es besser für den Film, wenn ich gehe und jemand anders weiter macht.« Aber so eine Situation hatte ich zum Glück bisher nicht.

Hast Du schon mal Projekte abgelehnt, weil Du im Voraus gemerkt hast, das passt nicht?

Ja, habe ich, definitiv. Sowohl wegen Drehbuch, als auch wegen Regie. Ich habe dann gespürt, dass es menschlich nicht funktionieren wird. Wenn die Regie keine Person ist, mit der ich gerne Kaffee trinken gehen würde, dann macht es keinen Sinn, zusammen an einem Film zu arbeiten... Dafür sitzt man zu lange auf engstem Raum; da wird man ja wahnsinnig. Und du arbeitest auch schlechter, wenn du die Person neben dir nicht magst, und anfängst, den Frust an dem Film auszulassen!

2018 kamen ja zwei von Dir montierte Filme ins Kino; direkt auf Das schönste Mädchen der Welt folgte 100 Dinge. Da hast Du mit Florian David Fitz gearbeitet, der gleichzeitig Hauptdarsteller und Regisseur des Films ist. War der Schnittprozess dadurch anders?

Das war wirklich ein nahtloser Übergang. Kaum war Das schönste Mädchen der Welt fertig, fingen die Dreharbeiten zu 100 Dinge an. Der Kontrast zwischen Aron und Florian ist schon interessant, denn Flo sitzt von morgens um neun bis abends um sieben neben dir, um auf den Frame genau mit dir seinen Film zu schneiden. Er hat seine Vision und möchte die exakt so umsetzen – was ja auch völlig legitim ist. Und zudem in seiner Klarheit sehr hilfreich sein kann. Caroline Link meinte mal bei einem Essen, sie arbeite genauso. Es war halt eine komplett andere Arbeitsweise als mit Aron. Aber beide Ansätze sind effektiv.

Flo gibt einem nicht das Gefühl, da sitzt jetzt der Schauspieler Florian David Fitz neben dir. Klar gab es mal einen Moment, wo er gesagt hat, »oh je, können wir einen anderen Take nehmen, da sehe ich scheisse aus«. Aber generell ist er sehr uneitel und hat einfach seinen Film im Fokus. Da ist er sehr konzentriert und sehr konsequent.

Und es geht ähnlich nahtlos bei Dir weiter; auch 2019 kommen zwei Spielfilme ins Kino, die Du montiert hast: Benjamin Blümchen (Regie: Tim Trachte) und Auerhaus (Regie: Neele Leana Vollmar).

Der Schnitt von Benjamin Blümchen ist schon länger her. Es gibt da so viele komplizierte VFX-Einstellungen, dass die Nachbearbeitung sich hinzieht. Der Film war komplett grün, als ich ihn geschnitten habe.

Wie war das denn, einen komplett vor Greenscreen gedrehten Film zu schneiden?

Das war krass. Es war wie ein Kammerspiel. Ich hatte anfangs keine Orientierung. Der ganze Zoo wurde ja erst später als VFX erschaffen; es war ein reiner Studiodreh. Ich hatte nur einen ausgedruckten DIN A3 Plan des Zoos, wie er später aussehen sollte, und so haben Tim und ich einen vollständig grünen Film geschnitten. Auch der Elefant war ein Schauspieler in einem grünen Spanndex-Anzug, mit einem riesigen grünen Kopf, damit die Schauspieler*innen eine Orientierung für ihre Blicke haben. Das war total irre.

Du bist inzwischen 11 Jahre im Schnitt-Bereich tätig. Hast du denn so etwas wie einen Stil für Dich gefunden? Liegt Dir tendenziell eher ein »flottes« Schnitttempo oder hängt das ganz vom Film ab?

Jeder Film gibt seinen eigenen Rhythmus vor. Das hängt auch von der Thematik ab und wie »jung« dieser Film ist oder wie ernst. Das sind Dinge, die ich am Anfang natürlich nicht wusste. Man denkt, man schneidet den Film so, wie man gerne möchte – aber das ist nicht so. Der Film schneidet mit dir. Das Material sagt dir, wo du etwas länger verweilen solltest, auch wenn du das normalerweise nicht machen würdest. Weil genau dieser Moment schön ist und es wirklich etwas zu sehen gibt. Und weil es emotional ist.

Ich schaue mir zum Beispiel privat wenig Comedy an. Klar, die einschlägigen Filme wie Hangover habe ich natürlich gesehen, aber ansonsten bin ich eher ein Arthouse-Fan. Ich habe gelernt, wie man flott und clip-artig schneidet, weil ich während meiner Assistenzzeit so viele tolle Editor*innen als Vorbild hatte. Nach Fack ju Göhte wusste ich, wie Musikschnitt funktioniert. Wie Übergänge in Komödien mit Musik besser klappen als ohne.

Aber mein jetziger Film Auerhaus ist zum Beispiel ein eher ruhiges Drama. Natürlich gibt es auch ein paar lustige Momente, aber im Großen und Ganzen hat er die Tonalität eines Dramas. Das finde ich total schön. Ich liebe es, Bilder einfach mal stehen zu lassen und zu schauen, was da passiert. Auch die Schauspieler*innen sind ganz toll und du musst eben nicht die ganze Zeit einen Rhythmus vorgeben. Du kannst die Montage wirklich den Figuren anpassen. Das ist ja bei Comedy eigentlich nicht so. Da wird grundsätzlich sehr schnell geschnitten, weil das Publikum es auch so gewohnt ist.

Liebe Ana, vielen Dank für das ausführliche Gespräch!

 

Sie können sich das Gespräch mit Ana auch als PDF herunter laden: