zu Gast// Philip Scheffner (Regisseur//Editor)
“Revision” 2012, 106 min
Wenn ein Dokumentarfilm rekonstruiert, wie genau an einem Tag vor zwanzig Jahren frühmorgens um Viertel vor vier die Sichtverhältnisse auf einem Feld in Vorpommern waren, dann ist klar: Hier lässt der Regisseur der Vergangenheit nicht das kleinste Winkelchen, in dem sie sich verstecken könnte.
In dem Feld fanden Erntearbeiter am 29. Juni 1992 die Körper zweier Menschen. Der eine war tot, der andere lag vermutlich im Sterben. Die beiden Männer, Rumänen, wie sich herausstellte, waren von zwei Jägern erschossen worden, die dort an jenem Morgen nach Wildschweinen gejagt hatten. Die Namen der Toten: Grigore Velcu und Eudache Calderar.
In seinem Film Revision besucht der Berliner Dokumentarfilmer Philip Scheffner Freunde und Hinterbliebene der Erschossenen, spricht mit Bauern, Journalisten, Beamten, Staats- und Rechtsanwälten, mit Ermittlern und anderen Beteiligten an dem Prozess, der sieben Jahre nach dem Tod der beiden Rumänen mit einem Freispruch für die Schützen endete. Was sein Film beharrlich ans Tageslicht bringt, ist ein Gemenge aus schlampigen Ermittlungen, mehr oder weniger offenem Rassismus und unfassbarer Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern und ihren Familien. Nach und nach erfasst man das Skandalon, das sich hier fast lautlos ausbreitet. Es entsteht ein feines dokumentarisches Netz aus Schicksalslinien und zeitpolitischen Bezügen, ein Panorama, das sich weit erstreckt: von einem rumänischen Dorf bis in deutsche Amtsstuben, von einem Feld an der deutsch-polnischen Grenze bis nach Rostock-Lichtenhagen und von der soziopolitischen Befindlichkeit im Deutschland nach dem Mauerfall bis in unsere Gegenwart. (...)
Philip Scheffner maßt sich nicht an, das Unrecht revidieren zu können. Aber er lässt den Opfern Gerechtigkeit widerfahren. Und sei es allein schon, indem die beiden Männer, die vor zwanzig Jahren in Zeitungsmeldungen namenlos blieben, nun durch diesen zutiefst beeindruckenden Dokumentarfilm im Gedächtnis bleiben: Grigore Velcu und Eudache Calderar.
(Katja Nicodemus)
Philip Scheffner, geb. 1966 in Homburg/Saar, lebt und arbeitet als Künstler und Filmemacher in Berlin. Zusammen mit Merle Kröger, Alex Gerbaulet und Caroline Kirberg betreibt er die Produktionsplattform pong.
Im Forum mit Havarie (2016), And-Ek Ghes… (2016), Revision (2012), Der Tag des Spatzen (2010), The Halfmoon Files (2007)
Susanne Foidl
Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf