Zum Hauptinhalt springen

Positionspapier Dokumentarfilm

| Dok:Schnitt:Zukunft

Positionspapier des BFS zur Montage langer Dokumentarfilme                       

Der Entstehungsprozess von unformatierten Dokumentarfilmen ist von großer Offenheit bestimmt. Die künstlerische Vision der Dokumentarfilmer*innen gibt die Richtung vor. Jeder Arbeitsabschnitt ist ein aufregendes kreatives Abenteuer, bei dem alle Mitwirkenden – nicht zuletzt die Editor*innen – ein gemeinsames Ziel haben: den bestmöglichen Film zu machen.

Der Dokumentarfilm entsteht maßgeblich im Schneideraum
Auf einem Panel der Deutschen Filmakademie hat der Produzent Thomas Kufus im Mai 2016 gesagt: „Die Kinotauglichkeit eines Dokumentarfilms kann nur mit vielen Freiräumen im Schneideraum gewährleistet werden.“ Genau das ist der Punkt: Die Montage bestimmt maßgeblich die Qualität eines Dokumentarfilms. Die schöpferische Leistung von Filmeditor*innen ist beim künstlerischen Dokumentarfilm größer als beim Spielfilm. Preisgekrönte Dokumentarfilme zeichnen sich dadurch aus, dass durchschnittlich 30 Prozent mehr Zeit in die Montage investiert worden ist als bei Mitbewerbern. Wir sind davon überzeugt: Der Schnitt entscheidet über die Publikumswirkung – und den Erfolg!

Ein Treatment ist noch keine Anleitung für eine filmische Erzählung
Um die Finanzierung eines Dokumentarfilms anzuschieben, wird vor dem Dreh zwar ein Treatment erstellt. Aber es gibt keine Garantie, dass sich die Vorgaben aus der Planungs-
phase im gedrehten Material wiederfinden. Stattdessen wird beim Dreh eine Vielfalt von Beobachtungen eingefangen, deren Essenz in der Schnittphase herauskristallisiert und
gestaltet werden muss. Im Schneideraum wird aus dem Filmmaterial eine Filmerzählung.

Editor*innen sind kreative Co-Autoren, die den Dokumentarfilm aktiv mitgestalten
Beim unformatierten Dokumentarfilm werden die Ausgestaltung des Themas, die Fokussierung des Stoffes sowie die Dramaturgie im Schneideraum erarbeitet. Die inhaltliche Aneignung des Materials durch den/die Editor*ist bereits der erste Schritt zur Filmerzählung. Beim Sichtungsprozess werden auch relevante Szenen und mögliche Spannungsbögen festgelegt. Um den roten Faden trotz Materialfülle nicht zu verlieren und die Kernbotschaften des Films publikumswirksam zu vermitteln, brauchen Dokumentarfilm-Regisseur*innen die Mitarbeit von versierten Editor*innen.

 

Es gibt keinen guten Dokumentarfilm ohne hervorragende Schnittleistung.

Dokumentarfilm-Editor*innen bestimmen mit, was erzählt wird,

und sind hauptverantwortlich dafür, wie erzählt wird.

 

Faktencheck: Der Arbeitsalltag im Schneideraum eines langen Dokumentarfilms

Digitale Medien verursachen Materialflut im Schneideraum
Mit digitalen Kameras und Speichermedien lässt sich Filmmaterial schnell und billig produzieren. Um wichtige Momente der Geschichte festzuhalten, filmt die Regie noch vor der Finanzierung eigenhändig ohne professionelle Kameraperson. Dadurch verlagert sich die Recherche in die Drehphase, also vor die Kamera. Dokumentarfilmer*innen können so zwar viel spontaner und flexibler arbeiten. Aber eine tatsächliche Kostenersparnis ist das nicht: Denn mehr Material erfordert längere Schnittzeiten. Drehverhältnisse von 1:100 und weit drüber sind mittlerweile beim langen Dokumentarfilm üblich.

Je mehr Material, desto länger der Sichtungsprozess
Anders als beim Spielfilm ist das Material für einen Dokumentarfilm nicht nach Szenenreihen-folgen geordnet. Vor dem ersten Schnitt muss das komplette Material strukturiert und geordnet werden. Man kann täglich maximal 5-6 Stunden Material sichten. Die restlichen 2-3 Stunden eines 8-stündigen Arbeitstags muss man Beschriftungen, Notizen und Markierungen machen. Pro Woche schafft ein/eine Editor*in 30 Stunden Material zu sichten. Für 100-120 Stunden Material sind 4 Wochen Sichtungszeit notwendig.

Mangelhafte Materialaufbereitung durch Rationalisierung von Schnittassitent*innen
Das Material landet in der Regel unzureichend aufbereitet im Schneideraum. Seit der Digitalisierung werden immer öfter projektbegleitende Schnittassistenzen eingespart. Technische Aufgaben werden zunehmend von unerfahrenen Praktikant*innen ausgeführt. Transkriptionen, Übersetzungen und Untertitelungen sind oft unvollständig und fehlerhaft. Auch das führt zu Mehrarbeit für die Editor*innen und großem Zeitverlust im Montageprozess.

Je weniger Zeit, umso weniger kreativer Output
Wer qualitativ hochwertige Dokumentarfilme herstellen, eine Breitenwirkung erzielen, Preise gewinnen und wirtschaftlich erfolgreich sein will, sollte realistisch planen. Leider gibt es in den letzten Jahren die Tendenz, nur 12-16 Wochen Schnitt (inklusive Sichtungszeit) für Dokumentar-filme einzukalkulieren. Das ist unrealistisch und schadet dem gestalterischem Prozess, dem Schnitt-Team und letztlich vor allem dem Film. Auch und besonders in der digitalen Ära bestimmt der Faktor Zeit, ob das im Material verborgene Potential im fertigen Film zur Geltung kommt – oder eben nicht.

Es ist statistisch belegt, dass die Qualität des Films in Relation zur Schnittzeit steht.
Laut der AG Dok haben Kino-Dokumentarfilme in der Regel Schnittzeiten von sieben Monaten und mehr. Der zeitliche Mehraufwand von Regisseur*innen und Editor*innen von Dokumentarfilmen wird allerdings oft nicht angemessen bezahlt. Wer Qualität will, sollte Leistungen aus Profihand auch entsprechend honorieren.

Für alle, die hochwertige Dokumentarfilme machen wollen, ist es nicht mehr vertretbar,

dass das Missverhältnis zwischen gestiegenen Materialmengen und geschrumpften Budgets

durch unbezahlte Mehrarbeit im Schnitt aufgefangen wird.


Was sich ändern muss – Unsere Forderungen und Lösungsansätze:

1.Planung und Budgetierung von realistischen Schnittzeiten: Aufgrund des gestiegenen Arbeits- und Aufgabenpensums sollten deutlich längere Schnittzeiten kalkuliert werden.

2.Angemessene Gagen: Die Leistung und Verantwortung von Editor*innen im Bereich des Dokumentarfilms müssen sich auch in ihrer Bezahlung widerspiegeln. Tarifgagen sollten gerade hier Mindestgagen sein, und nicht durch Pauschalen unterlaufen werden.

3.Regelmäßige inhaltliche Abstimmung im Produktionsprozess: Editor*innen sollten frühzeitig in den Prozess eingebunden werden, um eine bessere thematische Fokussierung zu erreichen. Gemeinsame Sichtungen und Materialanalysen mit Regie und Produktion zwischen den Drehphasen geben dem ganzen Team Aufschluss über den Fortschritt des Projekts . Auch kurze zielorientierte Schnittphasen lassen eventuelle Probleme rechtzeitig erkennen. So haben die Produzenten*innen den Kostenrahmen des Projekts von Anfang an besser im Blick und können dessen Entwicklung genauer kontrollieren.

4.Effektives Postproduktionsmanagement: Auch bei logistischen und technischen Aspekten ist die Anwesenheit von Editor*innen bei Produktionsbesprechungen aller Filmdepartments sinnvoll. Rechtzeitiger Austausch und Kommunikation beugt Fehler vor und spart unnötige spätere Kosten. Wir empfehlen bei großen Projekten einen Postproduktions-Supervisor.

5.Mindeststandards für die Aufbereitung des Materials: Jedes Projekt ist anders und jede/r Editor*in hat andere Präferenzen. Deshalb ist es umso wichtiger rechtzeitig zu besprechen, wie das Material und das Projekt organisiert werden sollen. Dazu gehören technische Workflow-Checks, die Materialverwaltung im Schnittsystem, rechtzeitige Anlieferung und das Einpflegen von Transkriptionen und Übersetzungen und einiges mehr.

6.Bezahlte Anwesenheit von Editor*innen bei weiteren Postproduktionsschritten: Weil während der Montage sowohl der audio-visuelle Stil als auch die inhaltliche Wirkung der Geschichte geprägt werden, ist es unabdingbar, dass der/die Editor*in bei Besprechungen der Musik- und Tongestaltung, bei Farbkorrektur/Grading und bei der Mischung eingebunden wird. Unsere Arbeitsverantwortung endet nicht mit dem Picture-Lock.

7.Produktionsbegleitende Schnittassistenz: Eine professionelle Schnittassistenz, beginnend mit dem Ende des ersten Drehs und bis zur Fertigstellung des Projekts, gewährleistet optimale Kontrolle über das Material und alle notwendigen Arbeitsschritte. Sie entlastet den/die Editor*in von Tätigkeiten, welche ihn/sie von der eigentlichen inhaltlichen Aufgabe abhalten und spart dadurch Zeit und Geld.

 

Wir richten unseren Appell an Regisseur*innen, Produzent*innen, Sender und Förderungen:
Berücksichtigen Sie unsere Lösungsansätze in Ihren Richtlinien, Planungen und Budgets.

Realistische Schnittzeiten, angemessene Bezahlung und effektive Arbeitsbedingungen
sollten im langen Dokumentarfilm nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein!