Am 19. und 20. Januar 2023 fand im Filmhaus Köln das Symposium – KONSTELLATIONEN dokumentarischer Montage und Dramaturgie statt.
Die Veranstaltung der dfi – Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW e.V., wurde gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Kulturamt der Stadt Köln und der VFF Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten mbH. Es fand in Kooperation mit dem Filmhaus Köln, der KHM Kunsthochschule für Medien Köln, dem Edimotion - Festival für Filmschnitt und Montagekunst und den Verbänden BFS, VeDRA und AG DOK statt.
Das Programm des Symposiums wurde von Philip Widmann kuratiert, unter der Leitung von Judith Funke. Moderiert haben die Veranstaltung Alejandro Bachmann (Filmvermittler, Autor und Vertretungsprofessor für Filmgeschichte und Filmtheorie / Kunsthochschule für Medien Köln), Carlotta Kittel (Filmeditorin und Filmemacherin / BFS), Kyra Scheurer (Dramaturgin / VeDRA).
An zwei Tagen wurden Filme gezeigt und mit den Filmschaffenden und Gästen über die eigene Filmpraxis diskutiert. Ein gelungener Auftakt des Symposiums war der Vortrag Kontaminierte Bilder. Schnittstelle und die Montage als Antidot von Volker Pantenburg zu Harun Farockis Film Schnittstelle. Der Film und der anschließende Vortrag waren eine inhaltliche Setzung und Fragestellung, vor deren Hintergrund die unterschiedlichen Erzählweisen der Dokumentarfilme des Programms gelesen und in Kontext gesetzt werden konnten. Wie können die montierten Bilder verstanden werden und welche Widersprüche können auftauchen.
Um die Auseinandersetzung mit Schlüsselbegriffen zu dokumentarischer Montage und Dramaturgie ging es im daran anschließenden Programmpunkt mit dem Titel „Glossar“. In dieser interaktiven Kennlernrunde diskutierten die Gäste und Panelist*innen über Begriffe wie Intention, Irritation, Übertragbarkeit, Leerstelle, reinschmieren und Nachklänge.
Insgesamt machte das Symposium deutlich, inwieweit die Montage die Dramaturgie des Films bestimmt und über das „Zusammensetzen“ von vorgefundenen Bildern hinaus geht.
Der Vortrag von Gabriele Voss vertiefte dies, indem sie die Erzählung als Narrativ und kulturelle Praxis einordnete. Was haben verschiedene Erzählformen mit unserer Bild- und Film-Wahrnehmung zu tun, wie gestaltet dies unsere Erwartung und wie wirkt das Narrativ einer Erzählung auch auf die Sinnerzeugung unserer Welt. Die Montage und ihre Konventionen prägen rückbezogen die Wahrnehmung der Welt. Voss stellte die Frage, ob „dysfunktionale“ Bilder, die nichts zur Dramaturgie beitragen, in den Film „dürfen“. Durch die Montage positionieren sich Filmemacher*innen in ihrer Weltsicht.
Neben dem Bild wurde auch die Tonspur in den Mittelpunkt gerückt. Vor allem beim Dokumentarfilm stellt diese eine eigene Ebene dar. Sie ist nicht mehr nur der Originalton im Hintergrund, sondern schafft einen eigenen Wahrnehmungsraum. Bilder können Geräusche evozieren und Geräusche ein Bild komplettieren. Das Filmprogramm und die anschließenden Gespräche mit den Filmschaffenden gingen exemplarisch auf unterschiedliche Möglichkeiten ein.
Die Filme bildeten die Frage nach der Montage und ihrer Möglichkeiten sehr gut ab.
Gezeigt wurden die beiden Filme Purple Sea von Amel Alzakout & Khaled Abdulwahed (2020) und Shipwreck at the threshold of Europe von Forensic Architecture (2020)
Die Filme schlossen an die Frage nach der Ethik der Bilder an, wer sie zeigt und wer sie sehen darf. In einem Gespräch mit Amel Alzakout (PURPLE SEA) und Christina Varvia (Forensic Architecture) und mit Philip Scheffner (Montage & Dramaturgie / PURPLE SEA) ging es um die Wiederaneignung von Perspektiven. Wie kann man von sich sprechen, ohne zum Opfer zu werden – und müssen die Zuschauer*innen das aushalten?
Im einem Werkstattgespräch befragte Philip Widmann Kristina Konrad (Regie) und René Frölke (Montage & Dramaturgie) mit Ausschnitten zur Montage von Unas Preguntas – Ein, Zwei Fragen, wie man mit Material umgeht, das vor längerer Zeit gedreht wurde. Welche Problematiken treten hier auf einerseits technisch andererseits, welches Verhältnis bekommt man zu dem Material.
In Zustand und Gelände (2019) geht Ute Adamczewski den ersten KZs während der NS-Zeit in Sachsen auf die Spur. Während eine Frauenstimme Aktennotizen vorliest, bekommt der Klangraum des Films mit dem Bild eine andere Zeitlichkeit. Gemeinsam mit Ludwig Berger haben sie die Methode ihrer Tongestaltung erklärt.
Der Film Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit (2020) zeigte eine Methode des dezentralen Erzählens. Im Filmgespräch mit Editorin Urte Alfs und Regisseurin und Co-Editorin Yulia Lokshina ging es um die Strukturierung und Kontextualisierung von Material, um thematisch verbundene aber voneinander unabhängige Erzählstränge und um Fragen zu sozialer Klasse und Arbeit.
Wie Biografie verhandelt werden kann, vermittelte das Gespräch mit Marian Mayland. Gezeigt wurden ihre Filme Michael Ironside and I (2021) und Lamarck (2022). Unter dem Titel Biografische Passagen fand ein von Katrin Mundt moderiertes Gespräch zur Entwicklung der beiden Filme statt.
Beide Veranstaltungstage endeten mit Diskussionsrunden zwischen allen Gästen und Beteiligten. Themen waren Berufsbilder im Bereich Montage und Dramaturgie, Arbeitsbedingungen im Dokumentarfilm, sowie Ausbildung und Nachwuchs. In diesem Zusammenhang wurde auf die schwierigen Bedingungen bei den häufig zu kurz kalkulierten Schnittzeiten und die meist sehr geringen Dokumentarfilmbudgets hingewiesen. Der gegebene Zeitrahmen entscheidet maßgeblich über die Qualität der Filme.
Das Symposium machte deutlich, wie stark Montage und Dramaturgie im dokumentarischen Gestaltungskontext eine eigenständige Rolle spielen. Dies zeigte auch die wichtige Diskussion darüber, inwieweit die Montage sich nicht als Postproduktion, sondern als Teil der Produktion versteht. Diese Frage lässt sich letztlich auf alle Filmsparten übertragen, doch prägt der Montageprozess, insbesondere bei den offenen dokumentarischen Formen, die Sicht auf die Welt und regt eine kritische Auseinandersetzung mit dem scheinbar Gewohnten an.